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Thema: Die drei Fragezeichen Sa Apr 26, 2008 4:17 pm
Die drei Fragezeichen
Zehn Jahre Pause, dann das überraschende Comeback: Heute erscheint das neue Album von Portishead. Der Elektro-Sound klingt fast wie damals, vielleicht ein bisschen organischer. Warum? Keine Ahnung. Zum Mythos des Trios aus Bristol gehört die Unnahbarkeit.
Es ist eine Wiederkehr der bizarrsten Art, eine monströse Rückmeldung nach über einem Jahrzehnt des Schweigens. Eine Heimkehr also, wie sie einer der wichtigsten Bands der neunziger Jahre gebührt. Das atemberaubende Debüt "Dummy" (1994) und das nicht weniger phantastische zweite Album "Portishead" (1997) sind die von der Geschwindigkeit des Zeitverfliegens unberührten Alben eines populärmusikalisch eher trüben Jahrzehnts - und kamen dabei aus dem absoluten Nichts.
Seit den Anfängen von Portishead versucht man vergeblich, dieser geisterhaften Musik beizukommen, man nannte sie ratlos "TripHop", umkreiste sie auf jede erdenkliche Art und Weise und trieb sie im britischen Bristol in die Enge, wo neben Portishead auch Tricky und Massive Attack (die 1991 mit "Blue Lines" am frühesten dran waren) eine ähnliche Vision verfolgten.
Es mag etwas weit hergeholt klingen, doch vielleicht kommt ja "Kustom Kar Kommandos", ein Kurzfilm des Experimentalfilmers Kenneth Anger, der unsagbaren Schönheit und Verzweiflung Portisheads am nächsten: In diesen prächtigen drei Minuten fungiert ein Auto, das zu den Klängen des Klassikers "Dream Lover" zärtlich mit einem samtweichen Staubwedel gereinigt wird, einerseits als Selbstreflexion, andererseits als Fetisch.
Und wenn wir schon bei Maschinen sind: Der neue, auf brutalem, immer unnachgiebiger werdendem Maschinenrattern basierende Song "Machine Gun" steht für eine neue, technoide Schönheit, die man in diesem Maße noch nicht von Portishead kannte.
"Third", die dritte LP von Beth Gibbons, Geoff Barrow und Adrian Utley ist zudem aber auch unerwartet organisch geraten: Man verzichtete diesmal gänzlich auf Samples. "Ich denke, es ist weniger Blues, Soul und Jazz auf der Platte, weniger Blue Note. Im Moment verlassen sich eine Menge Leute auf Blues- oder Jazz-Standards, um eine bestimmte Stimmung zu erzeugen. So einfach wollten wir es uns aber nicht machen", sagt Portishead-Arrangeur Geoff Barrow.
Die Stimme von Sängerin Beth Gibbons blieb diesmal unverfremdet, was für mehr Intimität und Nähe sorgt. "Wir wollten auf keinen Fall eine zu stilisierte Platte machen. Die Soundeffekte, die man jetzt auf 'Third' hören kann, mögen zwar etwas sonderbar klingen, doch sie sind ganz natürlich entstanden". Was aber auf keinen Fall heißen soll, betont Barrow, dass man "an so etwas wie 'Authentizität' interessiert" sei. "Aufgrund der technischen Gegebenheiten hat heutzutage jeder die Möglichkeit, sonderbare Musik zu machen – zu etwas Besonderem wird sie dadurch aber noch lange nicht."
Nach der langen Pause nach dem zweiten Album braucht man Barrow gar nicht erst zu fragen: Extensives Touren, darauf folgende totale Erschöpfung, Live-Album, die Beth Gibbons-Solo-Platte mit Talk Talks Paul Webb ("Out Of Season"), Beginn der Aufnahmen zu "Third" im Jahr 2004, nachdem das Trio mit ersten Entwürfen Anfang des Jahrtausends nicht zufrieden war.
Die Tatsache, dass Portishead nun im Jahr 2008 noch einmal zurückkommen, nach Radioheads "Kid A", nach der von den Strokes losgeschlagenen Invasion der Garagenbands, nach CocoRosie und Arcade Fire, fühlt sich mehr als seltsam an. Barrow ist Bewunderer all dieser Bands, doch der Portishead-Sound blieb von ihnen derart unberührt, als hätte man diese drei Pop-Erneuerer zehn Jahre lang auf einer Raumstation tiefgefroren und nun schlagartig geweckt. Was sich in all der Zeit nicht geändert hat: Die schwermütige Sängerin Beth Gibbons ist das unergründlichste Mitglied von Portishead geblieben. Alle wollen wissen, warum sie so traurig ist, doch Gibbons antwortet nicht.
Vor 14 Jahren gab sie das letzte Interview, um fortan Utley oder Barrow vorzuschicken. "Im Grunde genommen ist Beth ein sehr willensstarker Mensch, unglaublich wahrhaftig und ehrlich bis ins Letzte.
Es gibt Menschen, die für die in dieser Welt üblichen Konditionierungen einfach nicht geeignet sind, und Beth gehört definitiv dazu. Sie gibt sich nicht damit zufrieden, wenn man ihr sagt, dass die Dinge sind, wie sie sind. Sie hadert mit den Umständen und der Dummheit der Spezies Mensch, doch sie ist nicht depressiv oder gar gestört. Aber: Müsste sie Interviews geben, würden bestimmte Journalisten wohl sehr tief graben. Ich glaube nicht, dass man ihr das antun muss."
An neuer Pop- und Rockmusik hat Gibbons nicht das geringste Interesse: "Sicher weiß ich nur, dass Beth Leonard Cohen hört" berichtet Barrow. Und Antony & The Johnsons, die Band des britischen Ausnahme-Sängers Antony Hegarty. "Sie sagt, dass Antony der einzige Künstler ist, der sie in den vergangenen Jahren wirklich berührt hat." Exakt in dem Moment, als Barrow das sagt, möchte man die Zeit um zehn Minuten zurückdrehen, möchte plötzlich auch nicht mehr über die B-Movies und Film-Soundtracks informiert werden, mit denen die Band die Nächte in Bristol totschlug, und auch nicht darüber, dass für "Third" das Musikprogramm "Radar" statt "Pro-Tools" verwendet wurde.
Portishead ist die eine Band, über die man nichts wissen möchte. Weil die Wahrheit zu gewöhnlich sein könnte, um sie zu ertragen.